Bremervörder Zeitung vom 25.07.2015
Liebe Leserinnen und Leser,
für Niedersachsen als Agrarland
Nr. 1 in Deutschland sind
der ländliche Raum, die Landund
Ernährungswirtschaft und
der Verbraucherschutz von zentraler
Bedeutung. Den hohen
Stellenwert der Landwirtschaft in
unserer Region zeigte abermals
die Tarmstedter Ausstellung, die
vor zwei Wochen an vier Tagen
knapp 100 000 Besucher anlockte.
Mehr Tierwohl, mehr Präzision
und mehr Kostenbewusstsein
hießen in diesem Jahr die Trendthemen.
Die Landwirte stellen
sich den wachsenden Anforderungen,
arbeiten nachhaltig und
investieren in moderne Technik.
In der Öffentlichkeit ist indes
häufig von der „Agrarwende“ die
Rede. Die Landwirte haben erkannt,
dass sich hinter diesem
wohlklingenden Schlagwort nicht
die Lösung verbirgt. Es geht um
eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung,
die ein Umdenken
erfordert.
Was von einigen
politischen
Parteien und
weiten Teilen
der Gesellschaft
vehement gefordert
wird, können
sie selbst inhaltlich nicht klar
definieren. Es umfasst ein Sammelsurium
an Forderungen, das
von den Themen Pflanzenschutz,
Gentechnik und Tierwohl bis hin
zu Leistungsbeschränkung bei
Milchkühen, Massentierhaltung
und vieles weitere mehr reicht.
Dabei vergessen sie, dass es
nicht unsere Landwirte sind, die
vorgeben, was sie anbauen oder
produzieren. Landwirte sind Unternehmer,
die sich am Markt behaupten
müssen. Die Nachfrage
der Verbraucher allein bestimmt
die Produktpalette, die auf Feldern
und in den Ställen zum Tragen
kommt und einen Erfolg für
den Landwirt verspricht. Im Klartext
heißt das: Der Handel bestimmt
die Konditionen und die
Bauern produzieren nur, was der
Verbraucher verlangt.
Leider gibt es hier ein Handlungsdefizit
beim Verbraucher.
Meinungsumfragen zufolge sind
Kunden gerne bereit, mehr Geld
für Nahrungsmittel auszugeben.
In der Konsequenz wird dieser
gute Ansatz durch die „Geiz-istgeil-
Stimmung“ von der eigenen
Geldbörse ausgehebelt, und es
landen doch die günstigsten Angebote
im Einkaufswagen.
Das veränderte Einkaufs- und
Essverhalten spielt ebenfalls eine
wichtige Rolle. Für eine ausgewogene
Ernährung nehmen sich viele
Menschen in der Hektik des
Alltags oft zu wenig Zeit. Vermehrt
wird außer Haus in Kantinen
und in der Erlebnisgastronomie
gegessen, einfache Kenntnisse über Grundnahrungsmittel
sind nicht mehr selbstverständlich.
Der Lebensmitteleinzelhandel
ist dabei als Mittler zum Verbraucher
anzusehen. Durch gezielte
Werbung und Angebote beeinflusst
und steuert er das Einkaufsverhalten
der Kundschaft.
Es ist daher der falsche Ansatz,
ständig auf die produzierende
Landwirtschaft zu schimpfen
oder ideologisch begründete Nostalgie-
Diskussionen zu führen.
Auch lässt sich der Verbraucher
nicht bevormunden wie die Erfahrung
mit dem „Veggie Day“ bewiesen hat. Mit dieser Idee im
Wahlprogramm der Grünen hat
man der Bevölkerung vorschreiben
wollen, was wann zu essen
ist. Das hat nicht funktioniert,
und die Partei hat hierfür die entsprechende
Ablehnung erfahren.
Die neue Generation der Landwirte
sind gut ausgebildete, oftmals
studierte, Agrarexperten, denen
das Tierwohl sowie der Natur-
und Pflanzenschutz am Herzen
liegen. Das bestätigt sich
auch auf der Tarmstedter Ausstellung
in etlichen Fachgesprächen
und Diskussionen jedes Jahr aufs
Neue.
Wenn also der Verbraucher etwas
anderes oder neues verlangt,
werden die Landwirtschaft und
das Ernährungsgewerbe diesen
Wünschen sehr schnell nachkommen.
Was wir brauchen ist keine
Agrarwende, sondern eine Verbraucherwende.
IHR HEINER EHLEN