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Sonntagsjournal der Zevener Zeitung 25. April 2004

„Hauptsache Hauptschule“ – aufschlussreiches Pilotprojekt

Informationsabend über Praktikumstage – Erfahrungen einer Emsländer Kreishandwerkerschaft vorgestellt

Zeven (mi): Zu einem Informations- und Diskussionsabend zum Thema „Stärkung der Hauptschule, Durchführung von Betriebs- und Praxistagen“ hatten Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen, der Vorsitzendes des Arbeitskreises Schule Georg Eule und die Landtagsabgeordnete Mechthild-Ross-Luttmann in das Hotel Spreckels eingeladen. Mit Regierungsdirektorin Christa Lampe und Hermann Schmitz, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Aschendorf-Hümmling (Papenburg) konnten zwei kompetente Referenten gewonnen werden, die über Planung und Umsetzung des in der Ausarbeitung befindlichen Erlasses aufschlussreich berichteten.

In seinen Begrüßungsworten stellte Minister Ehlen fest, dass er seit vier Jahren den offenen Arbeitskreis Schule begleite. Dessen oberstes Ziel sei es, die Hauptschule zu stärken. Immer wieder sei ihm Kritik insbesondere von Handwerksmeistern, auch auf Innungsversammlungen zu Ohren gekommen, dass die schulischen Leistungen vieler Hauptschüler nicht ausreichend seien. So wolle man künftig auch die Betriebe und Berufsschulen mit in die Verantwortung einbeziehen.

Praxistage

Regierungsdirektorin Christa Lampe war es nun vorbehalten, Neuerungen im Schulsystem, insbesondere die grundlegende Reform der Hauptschule, darzulegen. Es sei das erklärte Ziel, allen Schülern die notwendigen Fertigkeiten in den Grundfächern beizubringen. Dazu zählte sie zuvorderst Lesen, Schreiben und Rechnen. Besonderen Wert lege man darauf, dass künftig sogenannte Praxistage eingeführt werden. Der Hauptschulerlass sei bereits mit dem 1.8.2004 in Kraft, die Umsetzung in der Praxis würde wahrscheinlich ein Jahr später greifen.

Der Erlass sieht vor, dass alle Hauptschülerinnen und -schüler der achten und neunten Klassen Praktikumstage zu absolvieren haben. Diese können sowohl als Schülerfirmen oder direkt in den Betrieben durchgeführt werden. Im nachhinein gibt es eine mehrtägige Aufbereitung. „Das Praktikum in den Betrieben steigert das Selbstwertgefühl der Schüler enorm. Sie werden gefordert und haben die Möglichkeit, sich zu beweisen. Ziel soll sein, dass die Schüler erkennen ,Ich kann was, ich bin wer‘. So kann für jeden Einzelnen eine individuelle Förderplanung entwickelt werden“, so Lampe. Wichtig sei die Zusammenarbeit der Schule mit den Betrieben, die keine Leistungsmessung der Schüler seitens der Betriebe nach sich ziehe. Wohl aber eine Einschätzung der Verhaltensweise, die sei jedoch immer altersbezogen zu sehen. So sei künftig eine enge Verzahnung von Unterricht und Berufsleben gegeben.
Christa Lampe stellte klar, dass diese neue Form nicht die bisherigen Betriebspraktika ersetze, die blieben weiterhin bestehen. Ein Faltblatt über alle Modalitäten der neuen Praxistage würde zur Zeit erarbeitet. Es stelle auch sicher, dass die Schüler-beförderung zu den Betrieben gesichert sei.

Erste gute Erfahrungen

Hermann Schmitz, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Aschendorf-Hümmling konnte schon aus eigenen Erfahrungen mit den Praxistagen für Hauptschüler aus seinem Kammerbezirk berichten. Man habe sich mit den Obermeistern Gedanken gemacht, wie man bessere Lehrlingen bekommen könne und ist dann gemeinsam auf die Lehrer zugegangen. So machen bislang in einem Pilotprojekt rund ein Drittel der Grundschulen mit. Dabei habe man die schwächeren Schüler den Betrieben zugewiesen, die anderen bekämen in der Zeit Förderunterricht. Schüler, die nicht untergebracht werden konnten, seien in den berufsbildenden Schulen untergekommen. Er könne die bislang gemachten Erfahrungen nur als positiv für Handwerk und Schüler gleichermaßen ansehen.

Zeit geben

Die anschließende Diskussionsrunde wurde von den Versammlungsteilnehmern genutzt, offene Fragen zu klären und mögliche Unwägbarkeiten auszuräumen.

Geschäftsführer Rainer Christmann von der Kreishandwerkerschaft Bremervörde mit Sitz in Zeven äußerte Bedenken in der Abwicklung. Es müssten vor allem die Betriebe für diese Neuerung des praxisbezogenen Unterrichts sensibilisiert werden. Er habe seine so leichten Zweifel, dass das ausreichend gelingen könne.

Die Antwort von Regierungsdirektorin Christa Lampe war dann auch gleich ein wenig glättend. Natürlich ginge das nicht alles wunschgemäß von heute auf morgen. Man rechne etwa drei bis fünf Jahre, ehe die Sache richtig rund laufe.

Dr. Bodo Stange von der Industrie- und Handelskammer Stade sah in dem Erlass eine große Chance, die es zu ergreifen gelte, wenn man Hauptschülern einen unvoreingenommenen Eintritt ins Berufsleben ermögliche.

Ein Obermeister sah zu dem Beispiel aus dem Emsland den gravierenden Unterschied zum Erlass, dass dort bisher lediglich die Schwachen in die Betriebe gelassen wurden, während die anderen derweil Förderunterricht erhielten. Dem entgegnete Hermann Schmitz, dass gerade da ja das Neue sei, dass junge Menschen, die sonst nie eine Chance hätten, jetzt auch einmal aktiv am Berufsleben teilnehmen könnten. Wenn später alle Schulen mit allen Schülern mitzögen, könne es natürlich zu Engpässen bei der Besetzung der Praktikumsstellen kommen. Diese müssten von den Berufsschulen aufgefangen werden. Dass dann finanzielle Mittel für Lehrkräfte und Lernmaterial freigemacht werden müssten, was auch Christa Lampe klar. Woher die Gelder kommen, konnte sie allerdings nicht eindeutig beantworten, sondern verwies auf die Schulträger.

Lehrer Rolf Herklotz wollte den häufig gehörten Vorwurf „die Schule hat Schuld, dass die Kinder nichts lernen“ so nicht stehen lassen. Vielmehr verwies er auf schwierige Unterrichtsbedingungen, die beispielsweise durch gestörtes soziales Umfeld der Schüler und zahlreicher Migranten in den Klassenverbänden nicht einfach seien. Letzlich begrüßte auch er die Praxistage.

Ein weiterer Diskussionsteilnehmer war der Meinung, dass Kinder mit 13 Jahren in der achten Klasse noch zu jung seien und die Praxistage erst in Klassen neun und zehn stattfinden sollten. Christa Lampe erteilte dem eine klare Absage und verwies darauf, dass auch sogenannte „Scheinfirmen“ angerechnet würden.

Der Obermeister der Elektro-Innung, Helmut Willenbrock, Heeslingen, berichtete von einem seiner Lehrlinge in den 70-er Jahren, der mit schwachen Schulnoten in den Hauptfächern seine Ausbildung angetreten habe. Mit enormem Willen und Fleiß habe er die Gesellenprüfung bestanden. Später habe er sogar die Meisterprüfung mit Auszeichnung abgelegt.
Es gab noch viele Meinungen zum Thema Praktikum, jedoch waren sich alle einig, dass dieses ein Schritt in die richtige Richtung sei.


Das Interesse am Thema „Stärkung der Hauptschule“ war erfreulich groß. Das zeigte
sich am gut besetzten Saal der Hotels Spreckels.


Regierungsdirektorin Christa Lampe

Geschäftsführer Hermann Schmitz


„Arbeitskreis Schule“-Vorsitzender Johann-Georg Eule

Fotos: Millert

Anmerkung:

Muster für die Planung der Betriebs- und Praxistage – Zusammenarbeit Schule -Betrieb /BBS & Partner sowie das Faltblatt „Die wichtigsten Fragen und Antworten: Betriebs- oder Praxistage an Hauptschulen“ können unter www.heiner-ehlen.de abgerufen oder unter Tel.-Nr. 04263/983995 bzw. Mail: AlfredRathjen@t-online.de angefordert werden; Letzterer steht auch für weitere Infos zur Verfügung!

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