Aktuelles aus der Region

zurück

Bremervörder Zeitung vom 23.11.2009

Tante Emma ohne Chance?

Minister Ehlen spricht bei Frauen-Union in Bremervörde über neue Herausforderungen im ländlichen Raum

BREMERVÖRDE. Beim Discounter in der nächsten Stadt den Großeinkauf machen, nur noch die vergessene Tüte Backpulver im Dorfgeschäft kaufen und dann über den Tod der Tante-Emma-Läden jammern – das geht gar nicht, findet zumindest Minister Hans-Heinrich Ehlen (CDU). In seiner Rede vor der Frauen-Union im Bremervörder Hotel Daub sprach der Landwirtschaftsminister am Sonnabend über die Chancen und Grenzen des ländlichen Raumes, forderte aber auch mehr Ehrlichkeit und ein größeres Verantwortungsgefühl des Verbrauchers ein.

Die Einwohner des Dorfes Resse nördlich von Hannover haben gezeigt, wie es geht: Um den Tante-Emma-Laden zu retten, gründeten sie eine Genossenschaft. „Doch warum muss es immer so weit kommen, dass Tante Emma stirbt?“, fragte sich der Minister für Ernährung, Landwirtschaft , Verbraucherschutz und Landesentwicklung – mit Blick auf die Verantwortung des Verbrauchers. Das Desaster mit den drastisch gesunkenen Milchpreisen habe schließlich gezeigt, dass viele Verbraucher anders reden als handeln, wenn es ums eigene Portemonnaie gehe.

„Der ländliche Raum steht vor großen Veränderungen und Entscheidungen. Die Schlagworte demographischer Wandel, Globalisierung, Fortschritt, Energie und Klima sind in aller Munde und wirken auf den ländlichen Raum ein. Die demographischen Veränderungen stellen viele Regionen und Kommunen auch in Niedersachsen vor große Herausforderungen“, sagte Ehlen.

„Durch den Rückgang der Einwohnerzahlen sowie einen zunehmend höheren Anteil älterer Menschen werden neue Strategien für die wirtschaftliche und städtebauliche Entwicklung sowie für die Sicherung der Daseinsvorsorge in den vom Wandel stark betroffenen Landesteilen erforderlich“, betonte Ehlen. Die flächendeckende Versorgung mit einem leistungsfähigen Breitbandangebot sei nur eine von vielen Handlungsfeldern, um den ländlichen „in die Zukunft mitzunehmen“.
Doch sei Breitband nur ein Mosaikstein, um die Dörfer fit für die Zukunft zu machen: Denn längst gebe es Gewinner und Verlierer auf dem Land, wenn Regionen die Zeichen der Zeit verschlafen, wie Ehlen anhand von Zahlen deutlich machte, die dramatische Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung zeigen. „Die regionale Spanne der Entwicklung reicht von minus 20 Prozent bis plus zwölf Prozent, die lokale sogar von minus 46 Prozent bis zu plus 25 Prozent.“

Ohne auf das Beispiel Resse näher einzugehen, plädierte Ehlen für „neue Angebotsformen“ in Handel, Produktion und Dienstleistung. „Flexiblere Modelle können helfen, eine Basisqualität zu sichern“. Als Stichworte nannte er Bürger-Läden, Direktvermarktung durch Hofläden, den mobilen Handel und den Lieferservice. Als Ergänzung seien alternative Konzepte in Sachen Mobilität zu prüfen: Der Minister zeigte sich begeistert von der Einrichtung sogenannter Rufbusse, Sammeltaxis, Bürgerbusse mit attraktiver Preisgestaltung und Taktung oder Mitfahrzentralen.

„Wenn Geschäfte leer stehen, sollte die Politik nicht so lange warten, bis die Scheiben eingeworfen werden, sondern zeitnah für eine Revitalisierung vorhandener Brachflächen sorgen“, erklärte Minister Ehlen.

Die Umgestaltung der Infrastruktur in der Praxis ist nach Einschätzung des Ministers auch eine Vermittlungsaufgabe. „Die Bevölkerung sollte in die Planungen mit einbezogen werden“, ist Ehlen überzeugt. Aber auch die Kommunalpolitik stehe in der Verantwortung. Es könne nicht angehen, dass bei der Entwicklung von Siedlungs- und Infrastrukturen sowie bei der Verkehrsentwicklung weiter gravierende Fehler gemacht werden, die zur Verödung der Ortskerne beitragen. Die Zersiedlung an den Ortsrändern müsse aufgehalten werden. Es sei ein Unding, dass in der Bundesrepublik pro Tag 120 Hektar Land verbraucht werde, obwohl die Bevölkerung schrumpft. „Das können wir uns auf Dauer nicht erlauben – auch aus Naturschutzgründen.“

Sanierung, Modernisierung, Umbau und Umnutzung vorhandener Bestände zur Anpassung an die wandelnde Nachfrage, die Verbesserung des Wohnumfeldes, die Neustrukturierung und -gestaltung des öffentlichen Raumes zur Steigerung der Attraktivität und Lebensqualität seien das Gebot der Stunde. Beispielhaft nannte er das Modellprojekt „Umbau statt Zuwachs“.

„Umbau statt Zuwachs“

Das mit EU-Mitteln geförderte Projekt „Umbau statt Zuwachs“- regional abgestimmte Siedlungsentwicklung“ unternimmt den Versuch, den Trend der Überalterung und des Bevölkerungsschwundes in den Dörfern aufzuhalten - und bestenfalls in eine andere Richtung zu lenken. In Niedersachsen wird dies mit dem Modellprojekt am Beispiel eines typischen niedersächsischen ländlichen und schrumpfenden Raumes wegweisend aufgezeigt. „19 Städte und Gemeinden und vier Landkreise entwickeln gemeinsam sowohl eine übergeordnete Strategie als auch konkrete Handlungskonzepte, um den Herausforderungen der demographischen Entwicklung aktiv gestaltend zu begegnen“, so Ehlen.

zurück